Abstract
Ausgehend von narrativer Psychologie, kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorien und neuerer Traumaforschung werden in dieser Masterarbeit die literarische Funktion und Darstellung des Gedächtnisses im "Kriegstagebuch" Ernst Jüngers im Kontext seiner späteren Kriegsbücher untersucht. Die Darstellung des Textes kann in zwei Modi eingeteilt werden, einen subjektiven und objektiven Modus, welche die Zeit- und Gedächtnisstruktur der narrativen Darstellung umfassen. Eine distanzierte Sachlichkeit dominiert im Text und ein materialistischer, stereoskopischer Blick entsteht. Dieser Blick führt zu einem gespaltenen Subjekt, das eine Position einnimmt, die gleichzeitige Nähe und Distanz zum Krieg ermöglicht. Im Tagebuch werden Traumen metonymisch dargestellt. In späteren Darstellungen in anderen Kriegsbüchern ist eine Verschiebung zwischen der Verwendung der Tropen Metonymie und Metapher zu beobachten, was ein literarischer Prozess ist, der mit Traumabewältigung in neuerer Traumaforschung zu verbinden ist. Das "Kriegstagebuch" fungierte als Archiv für Jüngers spätere Aufarbeitungen seiner Kriegserinnerungen und sollte als Ursprung des jüngerschen Gedächtnisprozesses verstanden werden. Es ist das Erhalten von Jüngers Kriegserlebnissen im Tagebuch, das den literarischen Gedächtnisprozess ermöglicht. Laut früherer Forschung erscheint die Darstellung des "Kriegstagebuches" als zerrissen. Die Probleme der anscheinenden Zerrissenheit der literarischen Darstellung werden gelöst, indem man den Text als ein autobiografisches Gedächtnisbuch versteht. Die Analyse zeigt, dass das Tagebuch ganzheitlich ist, wenn es im Rahmen der Funktionen und der Darstellung eines Gedächtnisbuches gelesen wird. Es misslingt Jünger, dem Krieg eine übergreifende größere Bedeutung zu geben, was zu magischem Denken und Entwicklung eines metaphysischen stereoskopischen Blicks in seinen späteren Schriften führt. Das "Kriegstagebuch" sollte als autobiografisches Gedächtnisbuch verstanden werden, das Ursprung eines literarischen Gedächtnisprozesses ist, in dem Traumabewältigung eine wichtige treibende Kraft ist.
In this master thesis the literal representation and function of memory in Ernst Jünger's ”War Diary” are studied in the context of the developments in his later war books. The text is analyzed on the basis of narrative psychology, cultural theories of memory and recent trauma research. The Diary's literal representation is dominated by a distanced objectivity. The narrative is divided into a subjective and an objective mode that is reflected in the text's structure of time and memory. A materialistic, stereoscopic vision is formed that allow for a split subject to emerge. As a result the literal subject takes a position making it possible to be close and far away from the war at the same time. Traumatic experiences are represented metonymically and the totality is reduced to parts of its whole. In Jünger's later war books a rhetorical change between the use of metonymy and metaphor can be seen, which is connected to recent trauma research. The ”War Diary” functions as an archive for Jünger's later reworking of his war memories, and the book is understood as the origins of the literal memory process in his works. It is the preservation of Jünger's war experiences in the diary, which make the memory process possible. The narrative appears to be fragmented in its representation of the war, as shown by earlier research. The problems with the apparent fragmental portrayals are solved when the text is read as a memory book. The analysis shows that the diary is a coherent whole because of the functions und representations of memory in the text. “The War Diary” should therefore be read and understood as an autobiographical memory book, which is a part of a literal memory process in which narrative treatment of trauma is an important driving force.